Vor 75 Jahren – Am 8. Mai 1945 endet der 2. Weltkrieg
Heute, in Zeiten der Corona-Weltkrise, verursacht durch den COVID19-Virus, der weltweit zum Stillstand führte, blicken wir 75 Jahre zurück in ein Chaos von Zerstörung und Tod, Leid und Flucht, verursacht durch das Wüten des Zweiten Weltkrieges.
Er wurde von den Westalliierten am 7. Mai 1945 im französischen Reims beendet und besiegelt. Für Deutschland unterzeichnete Generaloberst Alfred Jodl, der Nachfolger Hitlers. Auf Druck des sowjetischen Diktators Stalin wurde jedoch eine zweite Zeremonie mit höherrangigem deutschem Militär in Berlin am 8. Mai 1945 abgehalten. Die bedingungslose Kapitulation trat am 8. Mai 1945 um 23.01 Uhr in Kraft.
An diesem Tag veränderte sich die Welt, zu dem, wo wir heute sind – hätten wir im wiedervereinigten Deutschland ohne Kriege innerhalb Europas im Dezember 2019 noch stolz sagen können mit einem satten zufriedenen Blick auf die Errungenschaften unserer modernen Welt. Dieser Blick hat sich nun im Jahr 2020 verändert und wir wissen noch nicht, wie sehr er sich noch ändern wird. Wie werden wir uns erinnern an das schuldige, unschuldige Leid während des Dritten Reichs, an unsere Väter und Großväter, an unsere Mütter, Großmütter, an das System, das die Menschen zu dem gemacht hat und zu Taten – aktiv wie passiv – gebracht hat, was unsere Vorstellungskraft sprengt, nicht zulässt, uns sprachlos macht?
Der Ursprung war vor 100 Jahren formuliert worden und am 24. Februar 1920 hatte der Programmleiter Adolf Hitler in München die 25 Programmpunkte der NSDAP verkündet, wiedergegeben im Deutschen Beamten-Kalender 1939 und verteilt an die Beamtenschaft.
Schauen wir auf die Geschehnisse aus dem schmalen Blickwinkel unserer Protagonisten Hermann Benkowitz, seiner Frau Hedwig und Tochter Ursula.
Die Abbildungen stammen aus dem Bildband »Leben unter dem Hakenkreuz«, einer Rekonstruktion aus Nachlassbeständen.
Erste Kapitulation Aachen 21. Oktober 1944
Die Westalliierten dringen während der Invasion in der Normandie im September an den Westwall vor. Am 18. Oktober 1944 erlebt Bonn seinen schwersten Luftangriff. Am gleichen Tag verlässt Hermann Benkowitz mit der Reichsbahn fluchtartig Bonn, um nach Frankfurt zu seiner Familie zu fahren. Ein schlichtes Dokument aufbewahrt und gefunden in Benkowitz’ Unterlagen eine »Arbeiterrückfahrkarte« mit dem Tagesstempel der »Fahrkartenausgabe Bonn 3 18. Okt.1944« belegt diese schicksalhafte Koinzidenz.
Am 21. Oktober 1944 kapitulierte Aachen und wurde als erste deutsche Stadt von den US-Truppen besetzt.
Im Osten Winter 1944/Frühjahr 1945
Ohne Evakuierungspläne zogen aus Ostpreußen, Westpreußen, später aus Schlesien und Pommern Millionen Menschen in den Wintermonaten 1944/45 bei Schnee und Kälte zumeist zu Fuß mit Handwagen oder mit Pferdefuhrwerken in das westliche Reichsgebiet. Ende Januar 1945 hatte die Rote Armee Ostpreußen von allen Seiten eingeschlossen. Hunderttausende drängten in die letzten freien Häfen, von wo aus die deutsche Kriegsmarine die Evakuierung nach Westen durchführte.
Hermanns westpreußische Familie verharrte unterdessen noch in ihren Heimatorten (Kreis Krockow).
Am 4. und 5. März 1945 wurde Belgard a. d. Persante/Pommern von der Roten Armee eingenommen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die meisten Einwohner noch in der Stadt, da der Räumungsbefehl erst am Abend des 3. März gegeben worden war, als die sowjetischen Truppen bereits vor Belgard standen. Die nachrückenden Polen vertrieben die verbliebenen Bewohner ohne Hab und Gut aus ihren Häusern, so auch Hedwigs Schwestern aus Kolberg, Belgard und Neustadt. Die Städte fielen in polnische Hand.
Frankfurt/M. 29. März 1945
1945 setzten die Alliierten die Luftangriffe auf Frankfurt fort. Am 9. März 1945 – Hermann Benkowitz’ 53. Geburtstag – erlebten die Frankfurter den schwersten Tagangriff. Bombenteppiche fielen auf die Industriegebiete Frankfurts. Zwei Wochen später endeten die Kriegshandlungen mit der Besetzung der Stadt vom 26. bis 28. März durch die 7. US-Armee. Am 29. März galt Frankfurt schließlich als befreit. Noch kurz zuvor, am 23. März, erfolgte in Benkowitz’ Wehrpass der Eintrag vom Wehrmeldeamt Frankfurt/M. 1 für den »Wehrdienst im Beurlaubtenstande« fast zehn Jahre nach dem ersten Eintrag 15.7.1936. Die sechs Jahre Krieg haben Hermanns Gesicht gezeichnet.
Während Hitler noch aus dem Führer-Bunker in Berlin seine Befehle erteilte und im April seinen 56. Geburtstag begeht, gibt Ursula – am 2. April gerade volljährig geworden – am 20. April 1945 ihre Erklärung auf dem Frankfurter Polizei-Präsidium 21. Polizei-Revier ab: »Ich versichere hiermit an Eidesstatt, dass ich zwar Mitglied der NSDAP war, mich aber politisch nie betätigt habe.«
Hedwig erhält vom »Military Government of Germany« eine »Temporary Registration« mit ihrem rechten Daumen-Abdruck »als Einwohner von Frankfurt. Es ist ihm (ihr) strengstens verboten, sich von diesem Aufenthaltsort zu entfernen. Zuwiderhandlung dieser Maßnahme führt zu sofortiger Verhaftung.«
Stettin, Pommern 26. April 1945
Stettin, mein Geburtsort, wurde durch Bombardierungen durch den Bomber Command der britischen Royal Air Force in den Jahren 1943 und 1944 und zuletzt am 11. April 1945 durch die US Bomberflotte fast vollständig zerstört. Die Stadt wurde noch gegen die Rote Armee verteidigt, jedoch am 25. April aufgegeben und am Tag darauf kampflos von der Rote Armee eingenommen.
Aufgrund der vorangegangenen Bombardierungen am 30. August 1943 war jedoch meine Mutter Christa Schulz (Hedwigs Nichte bzw. Tochter von Ida in Berlin) mit mir und meinen zwei Geschwistern nach Singen a./Hohentwiel »mit Genehmigung der NS-Volkswohlfahrt vorsorglich umquartiert«. Von den weiteren zerstörerischen Bombardierungen wurden wir somit verschont.
Abbildungen: Ausschnitt alter Stadtplan Stettin, vor dem Haus der Familie Schulz Gutenbergstraße 3, Kinder Anita und Dagmar im Winter 1942/1943. Die »Betreuungskarte für Fliegergeschädigte« galt als Nachweis für den Totalschaden beim Fliegerangriff vom 30.08.44, wodurch das Haus zerstört wurde.
Berlin, 2. Mai 1945 Kapitulation
Hermann Benkowitz‘ Schwägerin Ida wohnte in der Veteranenstraße 3 in Berlin. Ihren ersten Mann Ernst, Hedwigs ältester Bruder, verlor sie 1916 im 1. Weltkrieg bei Wytschaete/Belgien und ihr 24-jähriger Sohn Werner Nass (Hedwigs Neffe) war gleich anfangs des 2. Weltkriegs am 13. September 1939 in Polen gefallen.
Die Russen drangen, zerstörend und raubend, westwärts nach Berlin vor, das unaufhörlich gleichzeitig von Februar bis in den April hinein von der amerikanischen und britischen Luftwaffe bombardiert wurde. Am 23. April marschierten die Rote Armee in die fast menschenleere, überall brennende Stadt ein, die keinen Widerstand mehr leistete. Am 30. April wurde der Reichstag von den Sowjets eingenommen. Hitler und Eva Braun nahmen sich am 30. April im Führerbunker das Leben. Einen Tag darauf beging Hitlers Vertrauter und Propagandaminister Joseph Goebbels ebenfalls Selbstmord. Am 2. Mai 1945 kapitulierte Berlin.
Abbildungen: Berliner Dom 1937 aufgenommen von Hermann Benkowitz während seines Urlaubs in Berlin; nach Kriegsende 1945 mit schweren Kriegsschäden nach den Luftangriffen am 24. Mai 1944, wobei die Laterne auf der brennenden Kuppel in das Dominnere fiel. (Heute erinnert man sich unmittelbar an den Brand der Kathedrale Notre-Dame in Paris am 15. April 2019, als der Vierungsturm einstürzte.)
Konstanz 26. April 1945 eingenommen
Im August 1944 wird meine Mutter Christa (Hedwigs Nichte) nach ihrer Umquartierung von Stettin nach Singen mit ihren mittlerweile vier Kindern in das Mutter-Kind-Heim St. Johann in Konstanz untergebracht.
Am 26. April 1945 erreichten französische Truppen die Stadt am Bodensee. Sie passierten mit ihren Panzern auch in der Innenstadt an der Basilika Münster vorbei, woran ich mich – obwohl erst zweieinhalb Jahre alt – noch erinnern kann. Später saß ich auf dem Schoss eines Soldaten, der mich mit Schokolade fütterte (erinnerte meine Mutter). Es erfolgte eine kampflose Übergabe der Stadt an die französische Besatzungsmacht.
Abbildung: Konstanz ca. 1942
Dagmar Stange (ds)
Mai 2020