8. September 1941 – Beginn der Leningrader Blockade

St. Petersburg Blutskirche aus den 1880ern

Millionen von Ausländern kommen jedes Jahr nach St. Petersburg. Am Newski-Prospekt ist kaum ein Durchkommen zwischen den weltberühmten Museen, Cafés und Stadtpalästen aus dem 19. Jahrhundert. Dass die Flaniermeile aber vor acht Jahrzehnten vom Krieg verheert wurde, ist inmitten ihrer heutigen Pracht nur schwer vorstellbar.
Am 8. September 1941 wurde Schlüsselburg am Ladoga-See nach schweren Kämpfen von der deutschen Wehrmacht eingenommen.
Unter dem Decknamen »Barbarossa« fand der Überfall der Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 statt.
In einem Brief »Im Norden vom 15. Juli 1941« schrieb Gefreiter Erich Naß aus Norwegen an seine Schwester Hedwig (Hermann Benkowitz’ Frau) in Frankfurt:

[…] Nun liebe Schwester hast du deinen Kopf über die Ereignisse im Osten voll. Ja aber dieser Krieg gegen Rußland wäre doch mal gekommen. Jetzt aber ist es ein Abwarten. Möge es sein, daß unsere Verluste dort nicht so groß sind. Werner ist dort bei den ersten. Hoffe ja nicht, daß ihm etwas zustößt.

Werner (Gumz) ist Gefreiter mit Feldpost Nr. 18351 im Russland-Feldzug.
Nach dem Beginn des Deutsch-Sowjetischen Krieges nahmen deutsche Truppen das Baltikum bis Juli 1941 ein. Gefreiter Werner ist dem Infanterieregiment 374 unterstellt, das ab April 1941 der 207. Sicherungsdivision als verstärktes Infanterieregiment mit eigener Artillerieabteilung aufgestellt wurde.

Regelmäßig schreibt Werner während seines langen Wegs »im Osten« an die Familie Benkowitz, die zentraler Kommunikationsmittelpunkt für die Naß’schen Geschwister aus Pommern ist. Während dieser Zeit muss Hermann Benkowitz als Zollwachtmeister in Herzogenrath bei Aachen die Stellung halten.

Werners erster Brief von seinem Feldzug nach Osten an »Liebe Frankfurter!« – nach langem Marsch von Pommern nach Ostpreußen, der kämpfenden Truppen über Tauroggen, Schaulen, Mitau und Riga folgend. Die Aufgabe seines Regiments war die Sicherung des rückwärtigen Gebietes der 18. Deutschen Armee.

Feldpost vom 13.7.41 Gefr. W. Gumz Feldpost Nr. 18351

»In vorderster Front sind wir nicht, aber immer so hinterher«

Im Osten, dem 13.7.1941
Liebe Frankfurter,
Euren Brief mit Dank erhalten, bin nun, wie ihr schon schreibt, in einem fremden Land. Augenblicklich in meiner Hauptstadt (R) [Anm. Riga, Lettland], wird aber nur paar Tage sein. Liegen dicht am Wasser, haben den ganzen Tag Turnhosen an, ist sehr warm hier. Zu trinken gibt es, aber zu kaufen, Zigaretten und was zu Essen gibt es auch genug, Also wir leiden keine Not. Butter und Eier sehr billig, Butter kostest das Pfund 50 Pf., Eier 3 Stck 10 Pf. Könnt euch denken, daß wir viele Eier essen. Habe so manchen Tag 10 Eier zu mir genommen, so daß man nun die bald gar nicht mehr mag. So ist es, wenn man in fremdes Land ist, aber es kann sich noch schnell wieder ändern. In vorderster Front sind wir nicht, aber immer so hinterher. Denke doch bestimmt gesund nachhause zu kommen.

»Unsere Soldaten haben wieder mal viel geleistet«

Unsere Soldaten haben wieder mal viel geleistet, wollen hoffen, daß es für mich hier noch vor dem Winter zurückgeht. Sonst wird es hier wohl sehr kalt, jedenfalls anders wie bei uns. Radio hören wir auch mal alle paar Tage und dann weiß man immer etwas Bescheid. Ihr habt nun wohl das Radio den ganzen Tag in Betrieb, es muß doch auch gespannt sein. Kommen bei Erich noch die Tommys [Anm.: Engländer], Berlin haben sie lange verschont, hier waren heute auch paar, Flak [Anm.: Flugabwehrkanone] hat sie sehr bald vertrieben, möchte gerne mal sehen, wann einer runter kommt. Luftkampf habe ich schon gesehen. Uns haben die Vögel bisher verschont.

»Wie die alten Germanen. Weit unter unserer Kultur.«

Möchte noch schreiben, dass wir durch Li….[Litauen] durchgekommen sind, dort ist aber nicht viel los, Häuser alle aus Holz, sogar das Dach, kochen über offenen Flammen, an einer Kette der Kochtopf. Wie die alten Germanen. Weit unter unserer Kultur. Hier in Le…. [Lettland] ist es besser, auch auf dem Lande, sind schon besser angezogen, auch die Häuser schon besser. Hier sprechen viele deutsch. So lernt man fremdes Land kennen. Schreibt bald mal wieder.

»So lernt man fremdes Land kennen.«

Baltikum / Russland Auszug Stritt’s »Europa-Afrika Karte Politische Übersicht« 1941
(Die Farbstift-Markierung sind von Hermann Benkowitz)

1.9.1941
… Sind dicht an der Front und haben schon von der Ru. Artillerie Dunst bekommen. Haben aber nichts getroffen.

Die deutsche 18. Armee drängte vom Südwesten auf Leningrad vor, während die Panzergruppe 4 und die 16. Armee nördlich und südlich des Ilmensees vorstießen, um Leningrad vom Osten abzuschneiden und sich mit den finnischen Truppen auf dem Ostufer des Ladoga-Sees zu verbinden. Der Artilleriebeschuss der Stadt begann am 4. September. Am 8. September eroberte die Wehrmacht Schlüsselburg am Ufer des Ladoga-Sees und unterbrach die Landverbindung nach Leningrad.

Im Osten, 1.10.1941
… Das russische Militär hat der Zivilbevölkerung alles weggenommen. Vieh ist nicht mehr viel hier. Die Häuser zum Teil alle abgebrannt. Manche Dörfer stehen ja noch, dann wohnen in paar Stuben mehrere Familien. Wir ziehen noch dabei, denn draußen oder in der Scheune ist es schon zu kalt. Die letzten Tage ist besonders gutes Wetter hier, schöner Sonnenschein. Wir haben auch keine feste Stelle, meistens unterwegs. Mal paar Tage Ruhe und dann wieder weiter, wohin weiß keiner. Sind in der Nähe von Pe(tersburg). Heute haben wir den ersten Toten, und zwar vom Pferd geschlagen, direkt vors Herz. …

rechts Werner Gumz

Wussten die deutschen Soldaten, welche prachtvollen Schätze an Stadtpalästen, Kirchen, Museen, Theater … sie eingekesselt hielten?

Nur ein kleiner Auszug von seinen Briefen, die Werner an die Frankfurter Benkowitz Familie schrieb während des langen Marsch seiner 207. Sicherungsdivision von Pommern (seinem Heimatort Belgard) nach Schlüsselburg am Ladoga-See – ein Beteiligter im Russland-Feldzug, ein Beteiligter an der Blockade Leningrads.

Lesen Sie nicht nur diese unmittelbaren und authentischen Briefe vom Gefreiten Werner Gumz, sondern auch über die Schicksale der Soldaten und Familien Benkowitz/Kropp aus Westpreußen und Nass aus Belgard/Pommern.

Dagmar Stange
September 2021

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